Steven Braun (Ruhr-Universität Bochum)
Abstract (English)
Animal husbandry and animal slaughter are almost as old as mankind itself. However, the commercialised breeding of animals in large groups through factory farming and the industrialised killing of animals through mass slaughter is a relatively new practice.
This paper discusses industrialised forms of mass animal slaughter. It analyses manuals, laws, artefacts, photos, videos, documentations, and illustrations. To identify violent practices within the slaughtering process, especially the experiences of workers in such factories are evaluated. Furthermore, a participating observation will describe the loading of chickens into vans, the so-called “chicken carrying”.
The practice of mass animal slaughtering consists of several techniques and differs with regard to the species of animal killed. Accordingly, the paper deals with the industrialised killing of cattle, pig, and chicken.
Abstract (Deutsch)
Tierhaltung und Tierschlachtung sind fast so alt wie die Menschheit selbst. Die kommerzialisierte Zucht von Tieren in großen Gruppen durch Massentierhaltung und die industrialisierte Tötung von Tieren durch Massenschlachtung ist jedoch eine relativ neue Praktik.
In diesem Beitrag werden industrialisierte Formen der Massentierschlachtung betrachtet. Es werden Handbücher, Gesetze, Artefakte, Fotos, Videos, Dokumentationen und Illustrationen analysiert. Um gewalttätige Praktiken innerhalb des Schlachtprozesses zu identifizieren, werden insbesondere die Erfahrungen von Arbeiter*innen in solchen Fabriken ausgewertet. Des Weiteren wird im Rahmen einer teilnehmenden Beobachtung das Verladen von Hühnern in Transporter, dem so genannten „Hühnertragen“, beschrieben.
Die Praktik der Massentierschlachtung setzt sich aus mehreren Techniken zusammen und differiert hinsichtlich der zu tötenden Tierart. Entsprechend gilt die Aufmerksamkeit nacheinander der industrialisierte Rinder-, Schweine- und Hühnerschlachtung.
Einleitung
Die Beziehung zwischen Menschen und Tieren unterliegt einem stetigen Wandel. Zu Beginn der Menschheitsgeschichte waren Tiere entweder eine Gefahr oder eine Quelle von Nahrung und Rohstoffen. Im Laufe der Zeit lernten Menschen, Tiere zu domestizierten und diese als Nutztiere zu verwenden. Das Aufkommen von Haustieren und Wegbegleitern ist ein Produkt der jüngeren Vergangenheit. Während eine zunehmende Zahl an Tieren im häuslichen Umfeld vermenschlicht wurde, entwickelte sich parallel die Tötung der Nutztiere hin zu einer industrialisierten Methode: Weg von einzelnen Bauern und Höfen, hin zu institutionalisierten Komplexen und Strukturen. Die instrumentelle Beziehung zwischen Menschen und Tieren nahm in der Moderne durch die Entwicklung des Fordismus und der damit einhergehenden Industrialisierung ein jähes Ende. Der Beitrag blickt auf fabrikmäßige Massentierschlachtungen als Praktik. Basierend auf Artefakten, Bildern, Dokumentationen, Berichten und Handbüchern beschreibt er diverse in Schlachthäusern übliche Techniken. Einen besonderen Platz nimmt die auf einer teilnehmenden Beobachtung beruhende Dokumentation des Hühnertragens ein.
Industrialisierte Rinder- und Schweineschlachtung
Die Rinder- und Schweineschlachtung setzt sich aus acht Techniken zusammen. Die Tiere werden in der Regel per LKW zu einem Schlachthaus gebracht. In Deutschland (und der Europäischen Union) gibt es Vorschriften, bezüglich der Dauer solcher Transporte, auch wenn diese in erster Linie die Kraftfahrenden schützen. In den Vereinigten Staaten finden Transporte statt, die sich auf bis zu 48 Stunden erstrecken. Allen Transporten gemein ist, dass einige Tiere diese aufgrund der Wetterbedingungen (extreme Hitze oder Kälte), fehlendem Wasser sowie der stressvollen und bedrängten Transportsituation, nicht überleben. Bei Schweinetransporten aus den Niederlanden nach Italien sterben beispielsweise über 50 % der Schweine an Kreislaufversagen (Holleben und Wenzlawowicz, 2008, S. 447-448). Am Schlachthaus angelangt, warten die Rinder oder Schweine auf einer kleinen eingezäunten Fläche vor dem Schlachtraum. Bis zur Schlachtung dauert es in Deutschland maximal 12 Stunden, in den USA bis zu 48 Stunden. In dieser Zeit bekommen die Tiere Wasser, jedoch kein Futter. Die Tiere stehen dicht gedrängt in einer sogenannten Sammelbox. Das dichte Zusammenstehen macht es einfacher, die Tiere nacheinander in eine vergitterte Schleuse zu treiben. Hierfür wird ein Stab benutzt, der ebenso wie die Sammelbox ein Artefakt ist. Mit diesem Stab wird auf die Hinterteile der Tiere geschlagen, um diese nach vorn auf die vergitterte Schleuse zu treiben. In Deutschland kommen hierfür Eisenrohre oder Peitschen zum Einsatz. In den Vereinigten Staaten hingegen werden regelmäßig elektrisch geladene Viehtreiber genutzt. Diese verätzen in vielen Fällen die Haut der Tiere. Die Abfolge des Transports, Wartens in einer Sammelbox und das Treiben in die Schleuse sind Arbeitsschritte, die unabhängig davon wo die Schlachtung stattfindet und wie sehr der Prozess bereits modernisiert ist aufeinander folgen. Durch die Schleuse gelangen die Tiere in den Schlachtraum. Einfarbige, spritzfeste Kacheln an den Wänden und auf dem Boden sind Standard und lassen sich ebenso wie das Schlachtwerkzeug als Artefakt identifizieren. Häufig ist es nicht einfach, die Schweine in die Sammelbox zu treiben, da sich diese nicht in die Richtung des Blutgeruchs bewegen wollen. Wenn das Treiben in den Augen der Arbeiter*innen zu viel Zeit in Anspruch nimmt, beschleunigen diese den Prozess gewaltsam. Die Schweine werden mit Fußtritten oder Schlägen auf den Rücken mit Eisenstangen zur Sammelbox getrieben. Dokumente aus amerikanischen Schlachthäusern verdeutlichen, dass Viehtreiber genutzt werden, um empfindliche Körperstellen, wie die Augen, zu verletzen (Eisnitz, 2007, Position 707-709). Im Schlachtraum hängen die bereits ausgenommenen, gehäuteten und ausgebluteten Körper der vorherigen Schlachtung. Ebenso hängen weitere Tiere bereits an den Anschlingketten. Manche sind bei Bewusstsein und bewegen sich aus Angst wild mit ruckartigen Bewegungen. Dicht an dicht hängen dort neben den zuckenden Tieren bereits tote und gehäutete Tiere sowie solche, die bereits gestochen wurden und ausbluten.
Die Tiere werden zunächst betäubt. Dafür kommen verschiedene Techniken zum Einsatz, die sich je nach Größe der Tiere unterscheiden. Bei Rindern ist die Nutzung eines Bolzenschussgeräts die übliche Betäubungsmethode. Obwohl die Betäubung des Tieres erst den zweiten Schritt im Tötungsprozess darstellt, birgt diese Technik erhebliches Fehlerpotential: Die Tiere sind in der Regel durch den Transport, die neue und unbekannte Umgebung sowie die Laute der geschlachteten Tiere nervös und ängstlich. Daher bewegen sie nicht selten heftig ihre Köpfe, wodurch es zu fehlerhaften Bolzenschüssen kommt (Monson, 2005). Das hat zur Folge, dass in Deutschland rund 200.000 Rinder während der eigentlichen Schlachtung, also dem Durchtrennen der Kehle, dem Häuten oder Zerteilen des Körpers, wieder das Bewusstsein erlangen. Der Ansatzpunkt des Bolzenschussgeräts hat zudem einen entscheidenden Einfluss auf die betäubende Wirkung und ist je nach Tierart unterschiedlich. Der Grund hierfür ist, dass die Gehirne je nach Tierart unterschiedlich groß sind. Neben einer fehlerhaften Handhabung des Bolzenschussgeräts, das eine unwirksame Betäubung nach sich ziehen kann, gibt es weitere (ökonomische) Gründe für eine zu leicht Betäubung. Safran Foer fand hierzu während seiner Recherche heraus, dass „die Wirkung der Betäubung oft reduziert wird, weil manche Schlachthofleiter meinen, ein Tier könne nach dem Bolzenschuss schon zu tot sein, das Herz also nicht mehr pumpen, weshalb es dann zu langsam oder nicht ausreichend ausblutet“ (Safran Foer, 2019, S. 263).
Abbildung 1: Bolzenschussgerät-Handbuch (Quelle: GFS-Top-Animal-Service GmbH, 2020)
In der Regel werden die Tiere nacheinander mit dem Bolzenschussgerät betäubt. Wenn sich die Arbeitsgeschwindigkeit in der Produktion erhöht, müssen mehr Tiere in kürzerer Zeit betäubt werden (Monson, 2005). Das bedeutet, dass die Tiere nicht einzeln, sondern in Gruppen in die vergitterte Schleuse geführt werden. Der*die Betäuber*in fängt an zu schießen, sobald die ersten Tiere die Schleuse betreten. Da es in dieser Situation schwierig ist, den Überblick darüber zu behalten, welche Tiere bereits mit dem Bolzenschussgerät betäubt wurden, bleiben immer wieder Tiere unbetäubt (Eisnitz, 2007, Position 338-339). Während einige Tiere zu Boden gehen, springen andere wild umher und trampeln sich gegenseitig nieder. In einem von Gail Eisnitz geführten Interview beschreibt ein ehemaliger Schlachthausmitarbeiter die Folgen der hohen Arbeitsgeschwindigkeit wie folgt: “To get done with them faster, we’d put eight or nine of them in the knocking box at a time. As soon as they start going in, you start shooting … (Eisnitz, 2007, Position 337).
Eine weitere Technik der Betäubung ist die Injektion. Diese findet jedoch aufgrund ihrer Zeit- und Kostenintensivität so selten statt, dass sie lediglich der Vollständigkeit halber erwähnt werden soll. Schweine werden in der Regel ebenso durch ein Bolzenschussgerät oder Elektroschocks betäubt. In kleineren bis mittelgroßen Betrieben wird dem zu tötenden Schwein eine Zange auf den Kopf gesetzt, durch die Strom läuft. Das Schwein wird zunächst durch eine enge Gasse aus zwei gegenüberstehenden, länglichen Metallführungen getrieben. So ist das Schwein in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt und kann sich lediglich geradeaus, auf das Betäubungswerkzeug zu bewegen. Das Tier wird von den Mitarbeiter*innen angetrieben, bis es den Ausgang mit dem Kopf erreicht. Dieser wird vom*von der Betäuber*in fixiert. Die Zange muss auf den Zentimeter genau angesetzt werden, um das Tier für 30 bis 60 Sekunden zu betäuben (Monson, 2005). Problematisch ist, dass bei einer nicht fachgerechten Ausführung Verletzungen und Blutstauungen entstehen. Diese verringern den Wert des Fleisches. Daher wird die Stromstärke regelmäßig geringer gehalten. Dies verhindert äußerliche Verletzungen, betäubt das Schwein jedoch nur für eine (zu) kurze Zeit oder gar nicht (Eisnitz, 2007, Position 526-527). In größeren Betrieben wird der Strom durch eine schmale, gangförmige Anlage, den Restrainer, transportiert. Die Tiere sind in dieser Anlage eingeklemmt, und werden unter Strom gesetzt, während sie diese durchlaufen. Der Stromstoß provoziert einen epileptischen Anfall des Tieres, wodurch eine Betäubung erzielt werden soll. Dass eine nicht geringe Menge der Schweine das Bewusstsein behält, stellt den Normalfall dar. Vorteilhaft für die Arbeitsgeschwindigkeit ist am Restrainer, dass mehrere Schweine gleichzeitig betäubt werden können und der*die Betäuber*in nicht jedem Schwein die Stromzange auf den Kopf setzen muss. Sollte es nicht möglich sein, die Schweine durch den Restrainer zu treiben, weil diese beispielsweise aus Erschöpfung liegen bleiben, wird ein Fleischerhaken durch die Schnauze getrieben, um das Schwein nach vorn zu ziehen. Optional wird der Fleischerhaken in den Anus getrieben (ebd., Position 698). Bei einigen Tieren führt dies zu Verletzungen und Rissen, durch die der Darm nach außen treten kann.
Abbildung 2: Restrainer für das Betäuben von Schweinen (Frigomaq, 2020)
Das Vergasen von Schweinen ist eine relativ neue Technik, die zusehends an Beliebtheit gewinnt. Die Schweine werden nach dem Transport und der Wartezeit in der Sammelbox durch eine Schleuse in kleinen Gruppen in eine Gaskammer getrieben (Ramezanian und Haase, 2018). Zum Antreiben werden ebenfalls die typischen Artefakte wie Kolben, Stange oder Viehtreiber genutzt. Die Gaskammern nennen sich Gondeln und ähneln in Ihrer Erscheinung einem großen Ofen. Sobald die Gruppe vollständig ist, wird die Gondel geschlossen und unter die Erde gefahren. Im Anschluss wird ein CO2-Gasgemisch in die Gondel gepumpt, das die Schweine einatmen und wodurch sie das Bewusstsein verlieren. Bis die Tiere bewusstlos werden, dauert es durchschnittlich 12 Sekunden. In dieser Zeit ist zu hören wie die Schweine nach Luft ringen und zu beobachten, wie diese wild um sich treten und sich dabei gegenseitig verletzen. Auch hier kommt es regelmäßig zu Fehlern, so dass Tiere unbetäubt in die Schlachtung gelangen (Monson 2005). Dennoch gilt das Vergasen als verhältnismäßig sicher. Das CO2-Gasgemisch versetzt die Schweine nachweislich in einen verängstigten Zustand. Die Nutzung von Edelgasen hingegen führt eine Betäubung ohne diesen Nebeneffekt herbei. Allerdings werden letztere aus Kostengründen kaum genutzt (Ramezanian und Haase, 2018).
Der nächste Schritt ist der des Anschlingens. Unmittelbar nach der Betäubung gelangen die Tiere durch ein Förderband zum*zur Anschlinger*in. Hier werden die Tiere zur weiteren Verarbeitung mit einem Bein (in kleineren bis mittleren Schlachthöfen), beziehungsweise mit beiden Beinen (in den großen Schlachthäusern) an einem motorbetriebenen Kettenzug befestigt und so an eine Rohrbahn aufgehängt. Um sich tretende Tiere werden mit einem Hand-Bolzenschussgerät erneut betäubt oder optional durch Schläge mit einer Eisenstange auf den Kopf ‚beruhigt‘, um diese leichter anschlingen zu können. Um sich tretende Tiere stellen eine Gefahr für den*die Anschlinger*in dar. Durch die wilden Bewegungen der nicht-betäubten Tiere erleiden Anschlinger*innen Verletzungen an den Armen und Händen. Bereits aufgehängte Tiere zappeln häufig derart, dass sie von der Rohrbahn (oder der Anschlingkette) auf den Boden in den Pit fallen. Der*die Anschlinger*in muss in solchen Fällen mit einem Eisenrohr oder einem Hand-Bolzenschussgerät den Tieren nachgehen und diese im Pit betäuben. Erst dann ist es möglich, sie anzuschlingen. Bei diesem Arbeitsschritt und beim Stechen (siehe unten) kommt es zu den meisten Arbeitsunfällen (Monson 2005).
Abbildung 3: Anschlingvorrichtung (Frigomaq, 2020)
Im nächsten Arbeitsschritt werden die Tiere gestochen. Dies geschieht indem beide Halsschlagadern mit einem scharfen Messer durchtrennt werden, um so die großen Blutgefäße zu verletzen (Huber, 2018). Das Stechen muss innerhalb von 60 Sekunden nach der Betäubung stattfinden, da andernfalls die Tiere zu Bewusstsein gelangen können. Wie bereits angemerkt, ist eine Vielzahl der Tiere aufgrund einer fehlerhaften Betäubung oder durch Überschreitung des Zeitfensters bei vollem Bewusstsein, wenn die Halsschlagadern durchtrennt werden. Bei einer hohen Fließbandgeschwindigkeit hängen die angeketteten Tiere zum Teil auch mehrere Minuten kopfüber, bevor sie gestochen werden (Monson, 2005). Durch die fehlende Versorgung des Gehirns mit dem nötigen Sauerstoff, tritt der Tod des Tieres im Normalfall nach einigen Minuten ein. Ehemalige Arbeiter*innen amerikanischer Schlachthäuser berichten, dass zu Beginn der 1980er Jahre Teile der Schlachtstraße (noch) nicht für den großen Durchlauf an zu schlachtenden Tieren konzipiert waren. So beobachteten diese, dass das Auffangbecken unterhalb der Anschlingketten nicht genug Blut fassen konnte, für all die kopfüber hängenden Tiere. Immer wieder waren Tiere zu sehen, die minutenlang bei vollem Bewusstsein mit der Schnauze im Blut des Auffangbeckens hingen, wodurch „Luftblasen im Blut geblasen wurden“ und diese ertranken (Eisnitz, 2007, Position 714). Das Stechen der Tiere ist eine besonders grausame Technik.
Durch unterschiedliche Richtlinien sind den Schlächter*innen europäischer Länder andere Werkzeuge zugänglich, als denen im amerikanischen oder asiatischen Raum. Der pragmatische Vorgang des Tötens (Stechen in den Hals) wird durch sadistische Handlungen der Fließbandarbeiter*innen erweitert. Diese umfassen beispielsweise das Abschneiden der Ohren oder Nasen sowie das Ausstechen der Augen, lebendiger und an Anschlingketten hängender Tiere. Die Handlung mag sich von Region zu Region unterscheiden, ist in ihrem Kern als Misshandlung oder Verstümmelung jedoch dieselbe und länderübergreifend nachzuweisen. Ehemalige Stecher*innen der amerikanischen Fleischindustrie berichten zum Teil offen über ihre Erfahrungen: „A live hog would be running around the pit. It would just be looking up at me and I’d be sticking, and I would just take my knife and —eerk—cut its eye out while it was just sitting there. And this hog would just scream. One time I took my knife—it’s sharp enough—and I sliced off the end of a hog’s nose, just like a piece of bologna. The hog went crazy for a few seconds. Then it just sat there looking kind of stupid. So I took a handful of salt brine and ground it into his nose. Now that hog really went nuts, pushing its nose all over the place. I still had a bunch of salt left on my hand—I was wearing a rubber glove—and I stuck the salt right up the hog’s ass. The poor hog didn’t know whether to shit or go blind“ (ebd., Position 837).
Viel lässt sich in Erfahrungsberichten von Fabrikarbeiter*innen und Augenzeugenberichten zu Tieren finden, die ohne Betäubung angekettet und gestochen werden (Monson, 2005; Eisnitz, 2007). Nachdem ein Rind ausgeblutet ist, wird dieses weiter zum*zur Kopfschlachter*in transportiert. Hier werden zunächst die Vorderfüße und dann der Kopf abgetrennt. Safran Foer hält hierzu fest: „Jetzt sollte das Rind nur noch ein Schlachtkörper sein, der zum Kopfschlachter weitertransportiert wird, der die Haut vom Kopf des Tieres abzieht. Nur ein geringer Prozentsatz der Tiere ist hier noch am Leben, aber es kommt vor“ (Safran Foer, 2019, S. 267). Die von dem*der Kopfschlachter*in ausgeführte Technik nennt sich Absetzen des Kopfes. Die Haut wird in einem aufwändigen Prozess vorgeschnitten, abgetrennt und verwahrt, so dass diese für die Lederproduktion verwendet werden kann (beim Rind). Das Tier wird danach zu den Fußschneider*innen über ein Fließband vollautomatisch weitertransportiert (Huber, 2018). Safran Foer beschreibt diesen Prozess in einem Gespräch mit einem Schlachthausmitarbeiter wie folgt: „Nach dem Enthäuten kommt der Schlachtkörper (oder die Kuh) zu den Fußschneidern, die – genau – die Füße abschneiden. Wenn da noch welche zum Leben erwachen, sagt ein Schlachtbahnarbeiter, dann sieht das aus, als ob sie die Wände hochlaufen wollten […] wenn sie zu den Fußschneidern kommen, na ja, die wollen natürlich nicht warten, bis irgendwer herkommt und das Rind nochmal schießt. Also schneiden sie mit ihren Zangen einfach die Unterbeine ab. Und wenn sie das tun, dann werden die Rinder richtig wild und treten in alle Richtungen“ (Safran Foer, 2019, S. 267). Es ist nicht unüblich, dass die Tiere bei vollem Bewusstsein gehäutet und ihnen die Füße abgeschnitten werden. Dieser Prozess stellt für die zuständigen Arbeiter*innen eine besondere Herausforderung dar. In einigen Schlachthöfen tritt dies derart regelmäßig auf, dass es inoffizielle Richtlinien gibt, wie in solchen Situationen mit dem Tier zu verfahren ist (ebd., S.267.). Ehemalige Schlachthausmitarbeiter*innen geben hier einschlägige Beispiele: „… The skinners were cussing. We were cussing. The whole line was going crazy. Just about every cow that come down the line—at least a hundred of them—was alive that afternoon“ (Eisnitz, 2007, Position 171). Sollte ein Tier noch bei Bewusstsein sein, wenn es bei dem*der Kopfschlachter*in ankommt, trennt diese*r meist mit einem Messer die Wirbelsäule vom Hinterkopf ab, sodass das Tier aufhört um sich zu treten. Das Tier ist dann bewegungsunfähig, jedoch nicht seiner anderen Sinne und Schmerzempfindlichkeit beraubt. Der*die Kopfschlachter*in kann in diesem Fall dann aber seiner*ihrer Tätigkeit nachgehen, ohne getreten zu werden (ebd., Position 179-180).
Für die weitere Fleischverarbeitung irrelevante Organe und Körperteile, wie Augenlider und Gehörgänge, werden entsorgt. Das Rind wird in kleineren Betrieben zur Durchtrennung an den Hinterbeinen oberhalb der Kniegelenke aufgehängt, so dass die Hinterläufe unterhalb der Gelenke abgetrennt werden können. Im Anschluss werden die inneren Organe, das bedeutet, die Bauch- und Brustorgane, entnommen und das Rind mit einer Motorsäge mittig gespalten. In großen Schlachthöfen findet dies vollautomatisiert statt. Das Rind wird nach erfolgter Ausweidung durch die Rohrbahn über eine Säge geführt, die das Tier zweiteilt (Huber, 2018).
Bei der Schweineschlachtung findet zunächst die Brühung statt. Hierbei werden die betäubten und gestochenen Tiere, die kopfüber an den Anschlingketten hängen, durch ein Brühbad geführt, um alle Haare und Borsten zu entfernen. Das Wasser ist exakt 60 Grad Celsius heiß. Bei einer höheren Temperatur würde das Fleisch beschädigt (Eisnitz, 2007, Position 592). Durch Fehler bei der Betäubung sind in deutschen Schlachthöfen täglich rund 800 Schweine bei vollem Bewusstsein, wenn sie zunächst verbrüht werden (Ramezanian und Haase, 2018). In den großen Schlachthöfen der Vereinigten Staaten ist es bei enormem Zeitdruck üblich, die Schweine lebendig in die Brühanlage zu treiben, um die ersten Stationen (Sammelbox, Schleuse, Betäubung) zu überspringen (Eisnitz, 2007, Position 509-511). Dieses Vorgehen wird regelmäßig von Inspekteur*innen der USDA (United States Department of Agriculture) beobachtet (ebd., Position 156; Monson, 2005). Alternativ werden die Tiere (an der Rohrbahn angekettet) kopfüber durch einen schmalen Gang geführt, in dem von beiden Seiten Feuer auf den Körper trifft, um die Borsten und Haare zu entfernen. Erst im Anschluss geht es bei dieser Alternative in die Brühanlage. Wie bei der Rinderschlachtung folgt darauf auch bei den Schweinen das Absetzen des Kopfes. Die Schweine werden vollautomatisch auf einen Metalltisch geführt. Der Hals wird erweitert aufgeschnitten und ebenso Augenlider und Gehörgänge entfernt. Ebenso wie bei der Schlachtung von Rindern, werden Schweine ausgeweidet und weiterverarbeitet (Huber, 2018). Die Inspektion der Rinder und Schweine erfolgt durch eine visuelle Begutachtung. Durchschnittlich prüft der*die Gutachter*in rund. 2.000 Tiere pro Schicht. Das bedeutet, dass jeder Kadaver ca. 15 Sekunden auf Verletzungen, Infektionen oder Krankheiten sowie Verunreinigungen durch Fäkalien etc. hin untersucht wird (Monson, 2005).
Abbildung 4: Schweineschlachtung (Eisnitz, 2007, Position 526)
Industrialisierte Hühnerschlachtung
Die industrialisierte Schlachtung von Hühnern verläuft bedingt durch die geringe Körpergröße teilweise anders ab, als die Rinder- oder Schweineschlachtung. Von den Zucht- und Mastanlagen werden die Tiere beim Hühnertragen aus den Ställen in Transportboxen gepackt. Dafür werden die Hühner eingefangen und dann über Kopf an den Füßen festgehalten und gesammelt. In der Regel trägt jede*r Stopfer*in zwei bis fünf Hühner pro Hand zum LKW. Dort werden die Tiere entgegengenommen und in Transportboxen gezwängt. Je nach Größe der Stahlbox, finden bis zu fünf Hühner in einer Box Platz. Bedingt durch die unübersichtliche Situation sind die Tiere aufgeregt und gackern, treten und kratzen. Viele der Stopfer*innen haben tiefe Furchen und Schnittverletzungen durch die Krallen der Tiere an den Händen. Üblicherweise tragen Stopfer*innen Handschuhe. Allerdings verzichten Viele darauf, um mehr Hühner pro Hand tragen zu können. Anders als bei der Rinder- und Schweineschlachtung werden die Tiere direkt nach dem Transport in den Kisten am Anfang der Schlachtstraße gestapelt. Dadurch, dass die Hühner bereits in Käfigen sind, besteht keine Notwendigkeit einer Sammelbox oder einer vergitterten Schleuse. Die Tiere werden aus den Boxen genommen und kopfüber an ein laufendes Band gehängt. Dieses Laufband ähnelt den Anschlingvorrichtungen der Großtierschlachtung. Die Tiere sind hier noch bei Bewusstsein und werden erst an der nächsten Station betäubt.
Abbildung 5: Hühner-Laufband (Soylent-Network.com n.d.)
Das Laufband führt über einen schmalen Auffangbehälter, der mit Wasser gefüllt ist und unter Strom steht. In diesem ist lediglich Platz für den Kopf, der kopfüber hängenden Tiere. Nacheinander werden die Köpfe durch das mit Strom durchsetzte Wasser gezogen, sodass die Tiere das Bewusstsein verlieren. Im Anschluss werden die Hühner, wie bei der industrialisierten Schlachtung ihrer vierbeinigen Artgenossen, gestochen. Dies geschieht jedoch im Sinne des Fordismus automatisiert: Die Hühner müssen in großen Betrieben nicht händisch durch die Hand eines*einer Schlächters*in gestochen werden. Das Laufband führt die Tiere nach dem Betäubungsbad über eine Säge, welche die Hälse der Hühner aufschneidet. Die Tiere bluten so aus, während sie zur nächsten Station befördert werden. Unterhalb des Laufbandes befindet sich ein großes Auffangbecken aus Metall. In diesem sammelt sich das Blut der Hühner. Mit 60 Grad Celsius heißem Wasser werden den Tieren die Federn entfernt. Da die Säge die Hälse der Tiere nicht immer akkurat trifft, gelangt eine Vielzahl an Hühnern lebendig in den Brüh-Bereich (Monson, 2005). An das Brühen schließt sich das Absetzen des Kopfes und der Füße an. Anders als bei der Großtierschlachtung erfolgt die Durchführung dieser Technik nicht getrennt durch Kopfschlachter*in und Fußschneider*in, sondern durch eine Person. In wenigen, sehr großen Betrieben wird der Kopf des Huhns durch eine zweite Säge abgetrennt. Üblicher ist jedoch die händische Abtrennung, da durch eine zu große Ungenauigkeit der Säge der Schlachtkörper einer Verletzung ausgesetzt ist, die ihn als Endprodukt unbrauchbar macht. Abschließend werden die Bauch- und Brustorgane entnommen und das Tier zur weiteren Verarbeitung gekühlt. In den Vereinigten Staaten werden die Schlachtkörper durch chlorhaltiges Wasser gezogen und im Anschluss mit einer Spritze mit Salzwasser minimal aufgefüllt. Dies soll die Tiere zum einen von Blut und Fäkalien reinigen und zum anderen das Gewicht der Tiere für den Verkauf erhöhen.
Es ist hervorzuheben, dass die beschriebenen Arbeitsschritte für die industrialisierte Schlachtung von Hühnern, Schweinen und Rindern auf Beschreibungen aus großen Schlachthöfen des 21. Jahrhunderts beruhen. Kleinere Betriebe unterscheiden sich von den bisher beschriebenen vor allem dadurch, dass einige der Techniken nicht vollautomatisiert sind. Bei der Großtierschlachtung an solchen Orte werden die Tiere ebenso von den umliegenden Höfen angeliefert und warten in der Sammelbox. Dann werden die Tiere einzeln und nacheinander in die vergitterte Schleuse geführt. Der*die Betäuber*in arbeitet logischerweise langsamer, als dies in der Fließbandproduktion möglich ist. Dennoch sind die Handgriffe fast identisch. Das Tier wird (meist mittels Bolzenschussgerät) betäubt und angeschlungen. Im Anschluss wird es gestochen und es folgt das Absetzen des Kopfes. Daran schließt sich die händische Abtrennung der Füße und der Haut an. Ebenso verhält es sich mit den Schlachthöfen zu Beginn des Fordismus. Teile der Arbeitskette waren noch nicht automatisiert und erfolgten durch Handarbeit. Dennoch folgten sie den immer gleichen Mustern und wurden durch den technologischen Fortschritt schrittweise durch Maschinen oder Neuplatzierungen am Fließband ersetzt. Die Beschreibung der Praktik in einschlägigen Romanen (Wahn, 2013) entspricht der Art und Weise, wie sie in diesem Bericht dargestellt wird.
Arbeitsbedingungen
Die Arbeitsbedingungen in den Schlachthäusern unterscheiden sich regional. Dies hat unter anderem mit einer unterschiedlichen Stellung der Arbeitnehmenden innerhalb der Fabriken zu tun. So gestaltet sich das Arbeitnehmerrecht in Deutschland anders als in den Vereinigten Staaten oder Lateinamerika. Dennoch verdeutlichen die Arbeitsbedingungen durch ihre starken Bezüge zum Fordismus und somit der industrialisierten (vollautomatisierten) Produktion, dass es sich bei der Schlachtung von Tieren um eine Praktik handelt. Die unzureichende und teils nicht erfolgende Betäubung der Tiere hat unmittelbare Konsequenzen für die Arbeitsbedingungen in den Schlachthäusern. So berichtet ein ehemaliger Schlachthausmitarbeiter im Interview mit Eisnitz:
„I have almost had my clock stopped [been killed] a number of times by live cows kicking wildly as they were skinned while still conscious“ (Eisnitz, 2007, Position 153). Wie zu Beginn der Industrialisierung führt das hohe Arbeitstempo zu vielen Arbeitsunfällen. Auf den Schlachthöfen kommt es zu einer überdurchschnittlich hohen Verletzungsrate der dort Tätigen von 27% (Safran Foer, 2019, S. 265). Fehlende Sicherheitsvorkehrungen bringen die Arbeiter*innen immer wieder in Gefahr. So berichten ehemalige Angestellte der großen Schlachthäuser der USA, dass Anschlingketten nicht richtig befestigt werden und auf Kollegen*innen fallen. Zudem werden Abwasserkanäle nicht hinreichend gereinigt, so dass diese mit Beinen, Ohren und dem geronnenen Blut verstopfen. Dadurch seien die Abflüsse nicht zu erkennen und Mitarbeiter*innen, die mit Messern und schwerem Gerät hantieren, würden häufig hinfallen (Eisnitz, 2007, Position 195). Die oftmals migrantischen Arbeiter*innen werden unter Druck gesetzt dem hohen Arbeitstempo standzuhalten. Bei Fehlern oder Verletzungen wird diesen gedroht, dass sie ihre Anstellung verlieren, wenn sie sich beschweren. Ein ehemaliger Stecher eines großen amerikanischen Schlachthauses berichtet beispielhaft: “Sometimes the cow will get up and run through the plant. One time I saw a cow come barreling down and knock this Mexican fellow to the floor. Ran right over him. I asked the guy if he was hurt. It was pretty plain his back was killing him but he said, ‘No, no.’ He knew Kaplan’s would fire him if he complained“ (ebd., Position 172).
Ähnlich verhält es sich bei den vermeintlich unabhängigen Inspekteur*innen des amerikanischen Ministeriums für Landwirtschaft. Nach einer Probezeit von 365 Tagen erreichen diese in der Regel einen Beamtenstatus. Spricht sich ein*e Inspekteur*in jedoch gegen die Arbeitsbedingungen aus und kritisiert beispielsweise, dass die Tiere durch fehlende Betäubungen unnötigem Leid sowie die Arbeiter*innen unnötigen Gefahren ausgesetzt sind, laufen sie Gefahr (entgegen geltendem Recht) entlassen zu werden (ebd., Position 236-240, 320).
Die Schlachthöfe laufen in der Regel im Drei-Schicht-Betrieb. Es gibt eine durchschnittliche Tagesquote an Tieren, die zu töten und verarbeiten sind. Wie in jeder anderen Fabrik kommt es immer wieder zu Verzögerungen oder Störungen des Ablaufs. Um die Quote dennoch zu erfüllen, werden die Arbeiter*innen von ihren Vorgesetzten zu einer höheren Arbeitsgeschwindigkeit angetrieben. Die Verletzung der Angestellten wird bewusst in Kauf genommen, um das ökonomische Tagesziel zu erreichen. Bei Vorfällen, die eine*n Arbeitende*n am Fließband außer Gefecht setzen, wird das Fließband nicht angehalten. Die Tiere werden dann lebendig gestochen, gehäutet oder gebrüht, um kein Geld zu verlieren (ebd., 353, 658). Ein Schlachthausmitarbeiter beschreibt dies in einem Interview mit Eisnitz eindrücklich: “When I first started the job, I ate speed just to keep up with all the live hogs. The third period was the roughest because the supervisors would crank up the chain speed to get their quota out. They’d say, ‘Let’s rock and roll!’ You’d look at the clock and figure out how many hogs you had left to kill. When it was finally over, you’d go home and just die“ (ebd., Position 543).
Die teils gefährlichen, teils menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen verändern den*die Betreffende*n nachhaltig in seinem*ihrem Wesen. Wie zu Zeiten der Industrialisierung ist der*die Stecher*in oder Anschlinger*in austauschbar, weshalb es den Verantwortlichen nicht auf das Wohl der Angestellten ankommt. Das ständige Töten der Tiere, das Hantieren mit Kadavern und das Beobachten von sadistischen Misshandlungen hat einen unmittelbaren Effekt auf die in Schlachthäusern Beschäftigen. Im Interview mit Gail Eisnitz berichtet ein Stecher: “Down in the blood pit they say that the smell of blood makes you aggressive […]. You get an attitude that if that hog kicks at me, I’m going to get even. You’re already going to kill the hog, but that’s not enough. It has to suffer“ (ebd., Position 821). Mit Blick auf den Fordismus, der sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt hat lässt sich festhalten, dass die Rohstoffe am Fließband andere sind. Die Handlungen innerhalb der Schlachthöfe jedoch dieselbe Praxis abbilden.
Hühnertragen – Ein Beobachtungsprotokoll
Für die Recherche zur Gewaltpraxis der Massentierschlachtung habe ich mehrere Aufsätze, Artikel und Bücher gelesen, Dokumentationen über den Schlachthausbetrieb gesehen und eine noch größere Menge an Bildern studiert. Der direkte Zutritt zu einer Schlachtanlage blieb mir trotz mehrfacher Nachfrage bei diversen Betrieben verwehrt. Begründet wurde dies (im Frühjahr 2020) mit der aktuellen Situation im Kontext der Corona-Pandemie. Zudem wurde mir mitgeteilt, dass der Schlachtraum sowie die Fertigungsstraße nicht für den Publikumsverkehr offenstehen. Durch persönliche Kontakte war es mir jedoch möglich, einen Geflügelbetrieb zu besuchen und dort dem Hühnertragen beizuwohnen. Hierbei handelt es sich um einen Geflügelhof in X, der Hühner züchtet und Großhändler sowie Schlachthöfe beliefert. Die eigentliche Schlachtung findet also nicht auf dem Geflügelhof statt. Auch wenn die Schlachtung im Zentrum meines Interesses stand, wollte ich die Technik des Hühnertragens als Teil der Praktik Massentierschlachtung teilnehmend beobachten. Voraussetzung für meine Anwesenheit war allerdings, dass Datum, Ort, Personen und Geflügelhof unkenntlich gemacht werden und zudem nicht offengelegt wird, um welche Art Huhn es sich in der Zucht handelt. Fotos zu machen oder die Gespräche aufzuzeichnen war nicht möglich. Gesagtes darf ich jedoch sinngemäß wiedergeben. Ebenso wurde ich gebeten, nicht die Farben der LKWs des Hühnerhofs o.Ä. zu beschreiben, da dies Aufschluss über den Betrieb geben könnte. Als Folge blieb mir lediglich übrig, nach meinem Besuch ein Gedächtnisprotokoll der Beobachtung angefertigt.
Ich erreiche an einem Vormittag im April den Geflügelhof. Das Wetter ist frühlingshaft angenehm und ich biege auf eine lange Straße in einer ländlichen Gegend ab. Am Ende der Straße ist der Betrieb zu erkennen. Links und rechts davon nur Wald und Wiesen. Als ich auf den Hof fahre, sehe ich auf den Wiesen bereits Hühner und Gänse. Ich parke vor einem großen im Landhausstil erbauten Familienhaus. Die Blumenbeete vor dem Haus sind aufwändig und bunt bepflanzt. Auf der einen Seite des Hofes erkenne ich eine große Garage, die offen steht und den Blick für mehrere Traktoren freilegt. Auf der anderen Seite sind zwei große, längliche Hallen zu sehen, in denen die Hühner gehalten werden. Dahinter stehen ich weitere, typische Hallen, in denen Geräte für den Ackerbau untergebracht sind. Vor einer der Hallen steht ein LKW. Auf diesem sind viele Metallkäfige gestapelt. Zwischen der Halle und dem LKW stehen eine Frau und ein Mann. Die beiden sind für einen landwirtschaftlichen Betrieb typisch gekleidet und begrüßen mich freundlich. Auf dem LKW steht ein weiterer, deutlich jüngerer Mann. Dieser nickt mir zu. Bereits am Telefon hatte ich über mein Anliegen gesprochen. Vor Ort werde ich von dem älteren Mann noch einmal gefragt, wieso ich beim Hühnertragen helfen wolle, da „die Tiere gern auch Mal kratzen.“ Ich erkläre, dass ich einen Beitrag zur Gewaltpraktik der Massentierschlachtung verfasse und hierfür die verschiedenen Techniken beschreibe. Neben der Studie von Literatur, Bildern und Dokumentationen ist die teilnehmende Beobachtung ein zentrales Werkzeug der empirischen Forschung. Der jüngere Mann auf dem LKW muss ein Schmunzeln sichtlich unterdrücken. Mit kräftigem Blick schaut er mich an und sagt: „So wie du das sagst klingt das komisch. Was hat denn Schlachten mit Gewalt zu tun? Aber so lang du uns beim Tragen hilfst soll es mir recht sein. Wir sind heute eh nur zu dritt.“
Mir wird erklärt, dass wir heute nur eine kleine Menge an Hühnern packen und diese an einen befreundeten Hof geht, der in Schwierigkeiten durch die momentane Situation ist. Meine Nachfragen zu dem Punkt werden ignoriert. Da Hintergrundinformationen an dieser Stelle irrelevant für mich sind und es darum geht, die Technik zu beobachten, frage ich nicht weiter nach und lasse mir den Ablauf des Hühnertragens erklären.
Der ältere Mann wird die Halle betreten und die auf dem Boden laufenden Hühner einfangen. Diese wird er an den Beinen festhalten und kopfüber seiner Frau und mir anreichen. Sobald wir genug Hühner in den Händen haben, tragen wir diese zum jungen Mann, der auf dem LKW steht. Dieser übernimmt die Aufgabe des Stopfers und packt die Hühner in die Käfige.
Bevor wir mit dem Hühnertragen beginnen, ziehe ich Handschuhe an, die ich mir mitgebracht habe. Alle drei lachen. Die Frau sagt mir, dass ich so nicht genug Gefühl in den Fingern habe, um mehr als ein Huhn pro Hand zu tragen. „Das dauert zu lang“, sagt sie mir. Ich stehe in der Tür der Halle. Diese ist riesig und ich Blicke auf so viele Hühner, dass es mir nicht möglich ist zu schätzen wie viele es sind. Da ich nicht fotografieren durfte, habe ich ein Foto herausgesucht, das eine ähnliche Örtlichkeit und Situation abbildet. Die von mir besuchte Anlage war kleiner als die gezeigte. Zudem war die Anlage nicht so überfüllt.
Abbildung 6: Hühnerzuchtanlage (Gäbler, 2019)
Die Hühner werden mir gereicht und ich trage sie zum LKW, wo sie mir abgenommen und in die Käfige gepackt werden. Ich bin überrascht, dass die Hühner so schwer sind, da ich sie mir aufgrund ihrer geringen Größe deutlich leichter vorgestellt habe. Der junge Mann packt zwei Hühner pro Käfig. „Wir packen heute eh nicht so viele, da sollen die lieber mehr Platz haben“, antwortet er auf meinen fragenden Blick. Das Ganze wiederholt sich 10 – 12 Mal. Dann ziehe ich meine Handschuhe aus, da ich tatsächlich nicht mehr als ein Huhn pro Hand tragen kann. Auch mit den Handschuhen habe ich bereits einige Kratzer und Schnitte durch die aufgeregten Hühner an meinen Unterarmen. Die Geräuschkulisse nimmt zu, weil der Mann durch die Halle läuft und die Hühner nacheinander einfängt. Diese gackern wild. Die Hühner ohne Handschuhe zu tragen macht das Ganze einfacher. Am Ende des Vormittags, wir sind nach gut einer Stunde fertig, sind meine Hände und Arme zerkratzt und ramponiert. Für gewöhnlich haben sie drei Männer aus Polen angestellt, die auf dem Hof helfen und die Hühner tragen. Diese trügen bis zu fünf Hühner in jeder Hand. Ich habe es auf nicht mehr als zwei pro Hand gebracht. Und das auch nicht wirklich oft. Ich bin erschöpft vom Hühnertragen. Bevor ich wieder fahre, trinken wir noch eine Tasse Kaffee zusammen im Büro der Familie, das im Erdgeschoss des Landhauses untergebracht ist. Das Büro sieht aus wie jedes andere: Es stehen zwei große, hellgraue Eckschreibtische vor den Fenstern. An jeder Seite ein Computer. An den Wänden stehen große Regale, die mit schwarzen Aktenordnern gefüllt sind. Wir sitzen in der Mitte des Raums an einem runden Besprechungstisch. „Wenn wir für die Schlachthöfe packen, dann dauert das so gut 2 bis 3 Stunden. Das hängt von der Größe des LKWs ab. Wir haben ja jetzt nur den Kleinen gepackt. Und unsere Jungs packen ja auch nochmal schneller als du.“ Es ist Mittag und wir haben unseren Kaffee ausgetrunken. Ich bedanke mich für den Vormittag. Der ältere Mann sagt mir, ich kann jederzeit wiederkommen, vorausgesetzt, ich helfe beim Hühnertragen.
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